Das Recruiting ist in Bewegung und es ist kaum möglich, alle Trends und Veränderungen im Blick zu haben. Wir haben mit Carsten Tabatt gesprochen, dem Projektleiter des Digital-Recruiter.com. Die auf Video-Tutorials basierende Weiterbildung soll Recruiter unterstützen, in Sachen Personalbeschaffung am Laufenden zu bleiben. Der Digital-Recruiter.com ist ein Produkt des HRM Research Institutes, zu dem auch blog.talentpro.de gehört.

Das Recruiting ist möglicherweise der Bereich der Personalarbeit, der sich in den vergangenen Jahren am stärksten gewandelt hat. Welche Ursache hat diese Dynamik?

Zweifelsfrei hat sich die Komplexität im Recruiting verändert. Je ausgeprägter die Arbeitsteilung in einer Gesellschaft ist, desto höher sind die Anforderungen an ein modernes Recruiting. In einer Welt, in der quasi jeder alles könnte, gäbe es bei einer konstanten Wertschöpfung praktisch keinen Fachkräftemangel, weil Personal beliebig austauschbar wäre. Stattdessen setzen wir heute zunehmend auf Spezialisierung, was schon an den Hochschulen beginnt, die Studiengänge wie Mittelstandsökonomie oder Mikrosystemtechnik anbieten.

Die Digitalisierung und die neuen Technologien haben zusätzlich spezialisierte Geschäftsmodelle und Unternehmen hervorgebracht. Eine zunehmend individualisierte Problemlösungen, die Vernetzung von Produktionsanlagen und die Vereinheitlichung von Schnittstellen führen dazu, dass immer mehr hoch spezialisierte Zulieferer auf den Markt treten. Deren Mitarbeiter operieren dabei immer arbeitsteiliger und die gesuchten Qualifikationen bilden immer tiefere Spezialisierungen ab.

Hinzu kommt die Internationalisierung, also das Arbeiten und Rekrutieren über Ländergrenzen hinweg. Diese Entwicklungen – die Arbeitsteilung, die Digitalisierung und die Internationalisierung – sorgen dafür, dass das Recruiting heute so komplex und spannend ist.

Wie hat sich die Rolle des Recruiters verändert?

Unternehmen müssen sich heute bei Kandidaten bewerben – nicht umgekehrt, und ohne Active Sourcing bekomme ich keine Spezialisten mehr ins Boot. Das verändert die Rolle der Recruiter massiv. Denn sie müssen zunächst die richtigen Kandidaten finden, was gar nicht so einfach ist, um sie im nächsten Schritt für ihre Unternehmen zu gewinnen. Gerade in Österreich und Deutschland gibt es viele erfolgreiche Mittelständler und spezialisierte Zulieferer, die ihre potenziellen Mitarbeiter weder mit einer bekannten Marke noch mit überdurchschnittlich hohen Gehältern locken können. Vor diesem Hintergrund spielt Employer Branding eine wichtige Rolle – Unternehmen und Recruiter müssen lernen, wie man sich im Netz sichtbar und attraktiv macht um die Richtigen anzuziehen. Zudem bringt die Digitalisierung in rasender Geschwindigkeit neue Tools und Lösungen hervor, die den Recruitingmarkt verändern. Ich meine damit nicht nur immer bessere Bewerbermanagementsysteme, sondern vor allem die komplexen Algorithmen der intelligenten Suchmaschinen. Es ist sehr schwer hier am Ball zu bleiben, und es gibt wenig Wegweiser.

Wird das Recruiting der Zukunft ausschließlich digital sein?

Das glaube ich nicht. Aber Aufgaben und Handwerkszeug der Recruiter verändern sich durch die Digitalisierung schon sehr stark. Früher stand primär die zwischenmenschliche Kommunikation im Vordergrund, heute ist es ein Mix aus IT-Skills, Wissen über Onlinemarketing und Kompetenzen im Networking. Dabei werden persönliche Kontakte sicherlich weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Auf Fachveranstaltungen, auf Kongressen aber auch im täglichen operativen Geschäft, wird der Recruiter ohne kommunikatives Geschick und Empathie wahrscheinlich nicht sehr weit kommen. Die Digitalisierung im Recruiting muss allerdings nicht zwangsläufig in einer völligen Automatisierung des Berufsbildes des Recruiters führen. Joachim Dierks, einer unserer Tutoren, hat zum Beispiel einmal den Gedanken geäußert, dass es paradoxerweise durch die Digitalisierung und vor allem durch die Prozessoptimierung im Bewerbermanagement zu einer „neuen Menschlichkeit“ im Berufsbild des Recruiters kommen könnte. Das wäre dann der Fall, wenn die künstliche Intelligenz dem Recruiter einen großen Teil seiner Aufgaben abnehmen würde, und sich dieser dann wieder auf seine ursprünglichen Kernkompetenzen konzentrieren könnte.

Welche Tools und Kanäle gewinnen im Recruiting an Bedeutung?

Wir beobachten eine Veränderung der Kanäle und Netzwerke, auf denen Kandidaten rekrutiert werden: Früher hatten wir nur die Stellenausschreibungen, dann kamen die Lebenslaufdatenbanken (wie zum Beispiel auf Monster oder StepStone), der nächste Schritt waren Karrierenetzwerke wie XING oder LinkedIn, die im Hinblick auf die Such- und Filtermöglichkeiten im Laufe der Zeit immer besser wurden, und deren Stellenwert nach wie vor sehr hoch ist. Aktuell geht der Trend in die Richtung, Kandidaten auf Netzwerken zu finden, die primär nichts mehr mit Beruf und Karriere zu tun haben. Ich denke dabei zum Beispiel an Stackoverflow und Facebook.

Woher beziehen Recruiter aktuell ihr Wissen und welche Trends siehst du in der Weiterbildung für Recruiter?

Da die Entwicklung so rasant verläuft, ist es kein Leichtes, im Recruiting auf dem Laufenden zu bleiben. Hochschulen und Weiterbildungsanbieter sind hier nur bedingt in der Lage alle Veränderungen aufzubereiten. Neben Fachzeitschriften und Kongressen gibt einige „Insider“-Veranstaltungen, wie zum Beispiel HR-Barcamps oder den Sourcing Summit. Eine gute Möglichkeit auf dem Laufenden zu bleiben sind auch HR-Netzwerke. Wer sich da ein bisschen reinhängt und sein Wissen auch mit anderen teilt, wird über kurz oder lang dafür belohnt.

Da es unserer Beobachtung nach keine wirklich Weiterbildung gibt, die aktuelle Entwicklungen im Recruiting systematisch aufgreift, haben wir vor zwei Jahren angefangen, den Digital-Recruiter.com aufzubauen. Dort erläutern unseren Tutoren in aufeinander aufbauenden, kurzen Videotutorials ein 360-Grad-Paket mit bislang circa 35 Stunden Insider-Wissen rund um die Themen E-Recruiting, Active Sourcing, Employer Branding, Recruitingrecht und Talentmanagement. Mit interaktivem Wissenstest und mit einem zertifizierten Abschlusstest sorgen wir zudem für eine gute Verinnerlichung des Lehrstoffes. Wir wollen uns damit sozusagen als Vollversorger für Recruitingwissen positionieren.

Warum setzt Ihr auf Videos?

Wir glauben, dass Videos eine gute Möglichkeit bieten, komplexes Wissen leicht verständlich darzustellen – und zu verinnerlichen. Zudem lassen sich die kurzen Videosequenzen auch recht gut in den hektischen Recruitingalltag einbauen.

Zuerst erschienen im „personal manager“ Ausgabe 3/2018.